Photos: Steffi Koch

Teilnehmende Künstler / Participating artists:

Katharina Arndt, Zeichnung, FB69, katharina-arndt.com
Ana Bagayan, Zeichnung, FB69, anabagayan.com
Anke Feuchtenberger, Zeichnung, FB69, feuchtenbergerowa.de
Nadine Wottke, Porzellan, FB69, nadine-wottke.de       

Ali Fitzgerald, Zeichnung, Berlin, alifitzgerald.net
Melissa Steckbauer, Berlin, paper cut, melissasteckbauer.com
Sarah Lüdemann, Berlin, Video + Still, sarahluedemann.com/Schnitzelporno-1

Sander Dekker, Amsterdam, Fotografie, walls.nlmynameissanderdekker.com
Kamp Horst, Amsterdam, Zeichnung, walls.nl
Silas, Amsterdam, Malerei, walls.nlsilas.nl




Death & Sexuality
Von Sophia Gräfe

Im Französischen umschreibt »le petit mort« den kleinen Tod, den Liebende sterben. Einen Zustand der Überwältigung, der den Körper annulliert und die Wahrnehmung entgrenzt. Roland Barthes findet in »Le plaisir du texte« (1973) für die Lektüre eines modernen Textes eine ähnliche Umschreibung. In Texten, in denen sich der Sinn im freien Spiel der Wörter auflöst, das Denken des Lesers ins Gleiten gerät, muss sich die Lektüre treiben lassen. Zwischen der Auflösung der Zeichen sprengt sich die herkömmliche kulturelle Identität des Lesers als Verstehender auf. Er versteht nicht, er gibt sich den Worten hin. Die irritierende Wollust, »jouissance«, belohnt den entrückten Leser.

Auch Bilder vermögen derlei Lustempfinden auszulösen. Als unbelebte Belebte fordern Bilder zur Betrachtung auf. Der Anblick eines Motivs, einer Form, einer Farbkom-position oder Materialität entzückt den neugierigen Blick des Betrachters. Er sieht an dem Gegenstand das, was kein Zweiter an ihm sieht. Wir stehen unweigerlich in einem emotionalen Verhältnis zu den Dingen.  

Wenn dabei Motive von Sexualität und Tod aufeinandertreffen, gerät das begehrliche Bild in ein Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz. Das Auge versucht im optischen Abtasten des Bildes die Komplexität seiner Formen und Symbole zu bezwingen. Erotische Allegorien wollen gelesen werden. Der Blick untersucht den Bildkörper in der Hoffnung auf das Auffinden eines Sinns. Gesellt sich Thanatos zu Eros, steht der Tod auf dem Plan – ein kleiner Tod der Wahrnehmung jedoch, der als Trieb im Anblick des Außeralltäglichen Erfahrungen entgrenzt und die Sinne benebelt. Sex und Tod paaren sich als Pole ein und derselben Energie. Es wirken Bilder, deren Erotik auf der Schwelle zwischen Entführung und Verführung der Sinne steht.

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Verlockende Falle
von Katrin Günther

Wäre der Mensch ein wildes Tier – so manches wäre wohl einfacher: Fressen oder gefressen werden, Vermehrung der eigenen Spezies oder Aussterben. Das Nachdenken darüber erübrigte sich. – Doch so einfach ist es nicht. Der Mensch erkennt sich selbst, er reflektiert, forscht, schafft, optimiert, expandiert, träumt von Wohlstand, Glück, Liebe, Lust. Das nennen wir Kultur. Gestorben wird dessen ungeachtet dennoch. Auch wenn es im Zügel der Kulturtechniken gelegentlich aus dem Blick gerät, der Fakt an sich ist nicht wegzuzivilisieren: Der Tod ist der siamesische Zwilling des Lebens. Das wussten schon die Griechen, deren mächtiger und verehrter Gott des Todes bis heute überlebte. Ein sinnlich-lebendiges Begriffs-Pendant bekam er erst viel später, Sigmund Freud sei Dank. Im Rahmen seiner Psychoanalyse benannte er den Lebens- und Todestrieb als essenziell human. Beide bedingen einander (folgt man Freud) und im Kampf ihrer widerstreitenden Kräfte entsteht das, was man psychische Befindlichkeit nennt. Hieraus wurde – stark verknappt und pathosschwer – Eros und Thanatos.

Death & Sexuality“ heißt die neue Ausstellung in der Galerie FB69 – Kolja Steinrötter. Sie versammelt Arbeiten von 10 zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, die zeigen: Diese beiden universellen Kernthemen der menschlichen Existenz sind nach wie vor aktuell. Und Gegenstand von Bildern. Auch über 2000 Jahre Zivilisation (geht man von den Griechen aus), keine Erfindung, keine ökonomische, soziale oder politische Umwälzung, kein religiöses oder ideologisches Dogma haben es bisher vermocht, das immerwährend Faszinierende und die Reibungsflächen in der Auseinandersetzung mit diesen beiden Lebenspolen zu schmälern. Kein denkendes, fühlendes, mithin lebendes Individuum kann sich von ihnen befreien, denn wir alle wissen: Wir sind sterblich und Wesen, die, wenn schon nicht fortpflanzungswillig, so doch sexuell sind.

Was für die Sprache die Zeichentheorie, die Semiotik, erklärt, findet für die Bildkünste im Allegorischen, im Ikonografischen, im Symbolischen seinen Niederschlag. Bei beidem geht es um die Übertragung eines Dings, eines Inhaltes, einer Vorstellung in Worte respektive Bildmotive. Das Reale (das Sicht- und Greifbare) wie das nicht Reale (was dennoch existent ist) werden zum Gegenstand von Ausdruck, sie werden medial transportiert. Das Was und die Frage nach dem Womit und Wie hängen dabei eng zusammen.

Bleiben wir bei den Bildern: Über Jahrhunderte der Kultur und damit der Künste haben sich bestimmte Codes und Motive für verschiedenste Themen etabliert, die selbst heutige Wahrnehmungsprozesse noch bestimmen. Immer sind allegorische und symbolische Bilder auch Spiegel der Zeit, in der sie entstanden; nie können sie das kulturelle und geistige Umfeld verleugnen, in dem sie wurzeln.

Bei den Bildern dieser Ausstellung blicken wir auf Motive aus dem Hier und Jetzt zu den Themen Sexualität und Sterblichkeit. Es spiegelt sich an diesen beiden Schlagworten eine Kultur, in der zahllose Revolutionen schon ausgefochten und/oder verloren wurden, tradierte Geschlechterrollen und Verhaltensmuster aus Geboten und Verboten befreit sind, neue sich etablieren, eine Kultur, in der alle Tabus vermeintlich gebrochen, viele (schockierende) Bilder schon gesehen wurden.

Zum einen offenbaren diese zeitaktuellen Auseinandersetzungen mit den beiden großen alten Themen das Plurale des Jetztmomentes. In zeichenhafter Vielfalt wird die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen mit Bezug zu beiden titelgebenden menschlichen Existenzfragen bildlich aufgefächert. Die Werke tragen zugleich noch etwas mit sich: den Wandel. Der Zeiten wie Bilder. Ganz offensichtlich gibt es Codes, die nicht zu entmachten sind, weil ihre Zeichenhaftigkeit so universell ist wie der Gegenstand selbst. Eine zeitgemäße Interpretation hingegen schließt das nicht aus – und das kann man in den versammelten Arbeiten sehen: Bild- und Rollentraditionen, Motive, Muster und Klischees werden einerseits bedient und zugleich gebrochen. Es verschränken sich im heutigen künstlerischen Tun Traditiertes mit Progressivem oder Fragilem und im Unerhörten liegt noch immer etwas Neues. Die Grenzüberschreitung, die Provokation des „Verbotenen“ wie die Lust – auch jenseits des Lustprinzips – wirken. Besonders die unkonventionelle Verknüpfung gereicht zum reizenden Anblick und verweist unmittelbar auf die objektive Wahrnehmung und subjektive Befragung der Betrachter, auf überzeitliches wie persönliches Sexual beeing und Memento mori.

Im Kern sind es die spannungsgeladenen Dualitäten, die man in den Bildern der Ausstellung entdecken kann – zwischen Lust und Laster, Libido und Selbstzerstörung, zwischen Narzissmus und sozialer Dynamik, Intimität und Zurschaustellung, zwischen (Selbst-)Findung und Verlust, Glück und Schmerz, zwischen Tabu und Erfahrung, Lebensdrang und Endlichkeit. Genau da, in der Kunst wie im Leben, findet Existenz statt. Was hingegen Mensch und Tier auf immer unterscheidet: Erst in der Bewusstheit des eigenen Todes liegt die Quelle eines lustvollen Seins.